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Analyse zum G20-Gipfel in Hamburg

  • July 04, 2017

Das Jagdschloss Rambouillet im Südwesten von Paris ist gewiss nicht das geräumigste und schon gar nicht das prächtigste Gemäuer, das der französische Hofadel über die Jahrhunderte in die Landschaft gesetzt hat. Aber gerade das gefiel Helmut Schmidt, als er im November 1975 in Rambouillet am ersten Gipfeltreffen der sechs wichtigsten Industrienationen (G 6) teilnahm. Die “Zimmer der Chefs” , so notierte der damalige Bundeskanzler, “lagen eng beieinander”. Der Gastgeber, Frankreichs Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, habe es verstanden, “eine nachbarschaftliche, freundschaftliche Atmosphäre herzustellen”, so schwärmte Schmidt. Fast meint man die mächtigsten Männer der Welt zu sehen, wie sie sich zu einer Pyjama-Party am prasselnden Kamin versammeln, die Zigarre in der einen und den Cognac-Schwenker in der anderen Hand.

Was kostet der Zirkus?

Doch vom Charme der politischen Jugendherberge, in der sich ein paar Kumpels übers Wochenende trafen, um mal ganz zwanglos alle Probleme der Welt durchzusprechen, war schon bald nicht mehr viel übrig. Aus der intimen Klausurtagung, an der neben den Staats- und Regierungschefs jeweils maximal ein Berater teilnahm und über deren Verlauf die Presse erst aus dem Abschluss-Kommuniqué erfuhr, ist eine bombastische Medienschau geworden, für die die Chefs von ihren bürokratischen Apparaten und zahlreichen Helfern immer aufwendiger präpariert werden. Die Abschlusserklärungen der Gipfel sind zu einer Ansammlung fader Allgemeinplätze und bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffener Formulierungen verkommen, und längst steht bei den Treffen der Mächtigen nicht mehr die politische Agenda, sondern die Sicherheitslage im Fokus des öffentlichen Interesses: Wie viele Polizisten, wie viele Randalierer, und was kostet uns der ganze Zirkus eigentlich?

Kurz erklärt: Was steckt hinter G20?

Die Frage nach den Kosten – zuletzt wurden jeweils hohe dreistellige Millionenbeträge fällig – ist natürlich berechtigt. Aber das Geld wäre ja immerhin gut angelegt, wenn die Gipfeldiplomatie auch garantiert Ergebnisse brächte. Helmut Schmidt sah das freilich noch ganz anders. Er hielt es für falsch, internationale Treffen nur dann als sinnvoll einzustufen, wenn von vorneherein feststehe, dass “etwas dabei herauskommt”. Für Schmidt war es der sanfte Zwang zum persönlichen und unmittelbaren Austausch unter den Teilnehmern, der auch Verständnis füreinander weckte und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erst möglich machte. Man mag das für putzige Nostalgie halten, aber das wird der Sache nicht gerecht. Es gibt ja in der Tat zahlreiche Beispiele dafür, wie die auf Gipfeltreffen gewachsene menschliche Nähe zwischen Spitzenpolitikern geholfen hat, Auswege aus verfahrenen Situationen zu finden. So etwa, als Bundeskanzler Helmut Kohl am Rande des G 7-Treffens 1989 in Paris dem damaligen EU-Kommissionspräsident Jacques Delors vor dem Fahrstuhl in die Arme lief. Die beiden Männer nutzten die Wartezeit am Lift und vereinbarten mal eben schnell per Handschlag einen Mechanismus, um die finanzielle Hilfe für die Reformen in den osteuropäischen Ländern zu koordinieren.

Solche Anekdoten werden gerne erzählt, denn sie machen Politik menschlich und damit auch begreifbarer. Dennoch überwiegt seit einigen Jahren die Kritik an den Gipfeldeals, die in kleinen Runden ausbaldowert werden. Vor allem Linke und Globalisierungsgegner fordern mit viel moralischer Entrüstung die Abschaffung des Klüngelklubs der mächtigsten Führer der Welt, der in ihren Augen allein dazu dient, dem Rest der Welt den Willen der großen Industrienationen aufzuzwingen.


Auseinandersetzungen in G20-Protestcamp

FOTO: rtr, FBI/DH

Viel Raum für Persönliches gibt es nicht

Ein Vorwurf, der die Wirklichkeit indes total verkennt: Die Zeiten, als eine Handvoll westlicher Staatsmänner tatsächlich die Geschicke der Welt bestimmen konnte, sind definitiv vorbei. Seit das globale Finanzsystem 2008/2009 beinahe kollabiert wäre, sind zudem die G20 zu einem Gipfelformat geworden, in dem auch die Schwellenländer kräftig mitreden. Eine logische Weiterentwicklung, weil die globalen Probleme ja nur so zu lösen sind – auch wenn es in dem größeren Kreis gewiss nicht einfacher geworden ist, gemeinsam zu Ergebnissen zu kommen.

Als ertragreicher als die Diskussionen in der ganz großen Runde gelten in Diplomatenkreisen ohnehin die intensiven bilateralen Treffen am Rande der Konferenzen. Da geht es dann häufig ähnlich intim zu wie früher: Nur Dolmetscher und enge Berater begleiten die Chefs. Allerdings werden diese Gespräche längst ähnlich aufwendig vorbereitet wie die eigentliche Gipfelkonferenz und folgen einer strikten Agenda. Viel Raum für Improvisation und Persönliches bleibt da nicht.

Was hätte Donald Trump im Jahr 1975 gemacht?

Um die Kritik an den Treffen der Industrienationen zu entkräften, hat die Bundeskanzlerin das westliche Gipfeltreffen als “Format der Vorbesprechung” für den G 20 bezeichnet. Dabei unterscheiden sich der neue Großgipfel der 20 und das kleinere Treffen der Industrieländer nicht nur im Umfang, sondern auch in den politischen Schnittmengen. Die Teilnehmer der G 7 verbinden zwei Werte, die längst nicht alle G 20-Länder gleichermaßen akzeptieren: Demokratie und eine offene Gesellschaft. Dass man Russland, das vor drei Jahren wegen der Krim-Annexion wieder ausgeschlossen wurde, 1998 überhaupt in diesen Kreis aufgenommen hatte, war vor allem der (falschen) Hoffnung geschuldet, das Land werde sich schnell dem Westen angleichen.

Die G 7 wurde einst als Club von Gleichgesinnten konzipiert, der sich ausdrücklich auch als Wertegemeinschaft verstand, und darin liegt bis heute ihr besonderer Wert. Wobei man sich einer ernüchternden Erkenntnis jedoch nicht verschließen kann: Wäre schon 1975 in Rambouillet ein Donald Trump dabei gewesen, wäre wohl alles ganz anders gekommen.

Quelle: RP

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